In diesem Beitrag geht es um einen echten „Classic“ des Fernabsatzes, um das Widerrufsrecht. Was sind die Pflichten im elektronischen Geschäftsverkehr? Wann ist ein Widerruf ausgeschlossen? Und wie lange muss ein Widerrufsrecht gewährt werden? Die Antworten auf diese Fragen, alles Wichtige zur Widerrufsbelehrung und weshalb das Widerrufsrecht nicht mit einem freiwillig eingeräumten Rückgaberecht vermischt werden sollte, lest Ihr hier.
Das Widerrufsrecht als Teil des Verbraucherschutzes
Fürs Erste noch einmal zum elektronischen Geschäftsverkehr: Verträge aus diesem Bereich sind solche, bei denen ein Unternehmer und ein Verbraucher für die Vertragsverhandlungen und den Vertragsschluss ausschließlich digitale Dienste verwenden, also insbesondere einen Onlineshop. In dieser Situation kann der Verbraucher gegebenenfalls gar nicht so gut überprüfen, mit wem der Vertrag gerade geschlossen wird. Um ihn zu schützen, gibt es eine Reihe von gesetzlichen Regelungen im Bürgerlichen Gesetzbuch, dem BGB. Einige davon haben wir uns in den letzten Beiträgen bereits angeschaut, schaut dazu gerne in die letzten Recht strukturiert-Beiträge.
Das Widerrufsrecht ist sicher eines der stärksten Rechte eines Verbrauchers im Zusammenhang mit einem Fernabsatzvertrag, bzw. im elektronischen Geschäftsverkehr. Kurz gesagt berechtigt es dazu, die Entscheidung, den Vertrag zu schließen, einfach rückgängig zu machen, ohne Angabe von Gründen und so, als ob es einen Vertrag nie gegeben hätte. Der Unternehmer trägt demgegenüber für die Zeit, während der das Widerrufsrecht ausgeübt werden kann, das Risiko, dass er versendete Ware zurücknehmen und das hierfür erhaltene Entgelt zurückzahlen muss. Er hängt in dieser Zeit in der Luft. Zudem kostet ihn die Rückabwicklung widerrufener Verträge weiteren Aufwand.
Das Widerrufsrecht zugunsten von Verbrauchern ist EU-weit harmonisiert und kann, wenn gesetzlich vorgesehen, nicht vertraglich ausgeschlossen werden. Eine Klausel in Allgemeinen Geschäftsbedingungen (AGB), die das Widerrufsrecht gegenüber Verbrauchern für Situationen ausschließt, in denen das Gesetz dieses gewährt, ist unwirksam.
Ein Hinweis zum Begriff des Widerrufs: Im vertragsrechtlichen Vokabular sollte immer dieser Begriff verwendet werden. Denn nur dann ist das entsprechende Recht klar bezeichnet. In der Praxis werden immer wieder Bezeichnungen wie „Storno“, „Widerspruch“, „Rückgaberecht“ oder ähnliches genutzt. Tatsächlich beschreiben die gerade genannten Worte alle eine andere Situation und rechtliche Folge. Ein echtes Widerrufsrecht sollte immer als solches benannt werden.
Legal Facts
Fakt 1: Wann besteht das Widerrufsrecht?
Im Fernabsatz zwischen Unternehmer und Verbraucher steht letzterem ein Widerrufsrecht grundsätzlich immer zu. Das ergibt sich aus § 312 g Absatz 1 BGB.
Der zweite Absatz dieser Vorschrift legt Ausnahmen fest, in denen das Recht nicht besteht. Dabei sind hier Situationen aufgezählt, in denen die Risikoverteilung zulasten des Unternehmers nicht gerechtfertigt erscheint. Zum Beispiel, weil die Ware durch einen Widerruf einen erheblichen Wertverlust erleidet oder sogar gar nicht mehr erneut verkauft werden kann. Um ein paar Ausnahmefälle aus dieser Liste zu nennen: Bei Verträgen über Waren, die individuell für den Käufer angefertigt werden oder Waren, die schnell verderben, besteht kein gesetzliches Widerrufsrecht. Lebensmittel können in eine oder beide dieser Kategorien fallen. Ebenso ist es bei Verträgen über versiegelte Waren, die aus Gründen des Gesundheitsschutzes oder der Hygiene nicht zur Rückgabe geeignet sind, wenn ihre Versiegelung nach der Lieferung entfernt wurde. Letzteres betrifft also zum Beispiel Kosmetika.
Die Liste der gesetzlichen Ausnahmen ist abschließend. Bei der Interpretation der einzelnen Ausnahmegründe sollte ein Unternehmer Vorsicht walten oder sich beraten lassen. Er sollte nicht leichtfertig davon ausgehen, dass ein Widerrufsrecht ausgeschlossen ist. Es gibt eine Vielzahl an Gerichtsurteilen zu allen möglichen Gegenständen im Hinblick auf die Frage, ob ein Widerrufsrecht besteht. Allein zum Thema Widerruf beim Onlinekauf von Matratzen könnte inzwischen wahrscheinlich eine Bibliothek gefüllt werden.
Neben einem anfänglichen Ausschluss des Widerrufsrechts gibt es die Möglichkeit, dass ein solches unter bestimmten Voraussetzungen vor Ablauf der Frist erlischt. Dies betrifft einerseits Verträge über Dienstleistungen und andererseits Verträge über digitale Inhalte, die nicht auf einem körperlichen Datenträger, sondern z.B. zum Download angeboten werden. Auch hier gilt, dass die Voraussetzungen ordentlich geprüft werden und erfüllt sein müssen, bevor ein Unternehmen den Widerruf eines Verbrauchers ablehnt. Es kann sich aber lohnen, diese Möglichkeit zu kennen und bei der Gestaltung des Onlineshops und Verkaufsprozesses zu berücksichtigen, um – wo es gesetzlich möglich ist – das Risiko eines Widerrufs und damit verbundenen Aufwands gegebenenfalls zu vermeiden.
Fakt 2: Informationspflicht + Formular
Besteht ein Widerrufsrecht des Verbrauchers beim Onlineshopping, hat der Unternehmer die Pflicht, den Verbraucher korrekt über dieses Recht zu informieren. Das ergibt sich aus Artikel 246a EGBGB. Diese lange Liste an Dingen, über die der Betreiber eines Onlineshops im Zusammenhang mit seinem Angebot informieren muss – in diesem Beitrag erfahrt Ihr mehr darüber -, enthält unter anderem Pflichtangaben zum Widerrufsrecht.
Demnach muss ein Unternehmer Verbraucher, wenn ein Widerrufsrecht besteht, auf die Bedingungen, die Fristen und das Verfahren für die Ausübung des Rechts hinweisen. Darüber hinaus ist der Verbraucher zu informieren, dass er für den Widerruf ein Musterformular nutzen kann, welches sich aus einer Anlage zum Gesetz ergibt. Außerdem sieht Art. 246a EGBGB Angaben für den Fall vor, dass dem Verbraucher Kosten bei der Rücksendung der Ware nach einem Widerruf entstehen, aber auch für Fälle, in denen ein Widerrufsrecht nach den eben genannten Ausschlüssen nicht besteht oder nachträglich erlischt.
Es gibt also viele Eventualitäten und dabei sind hier nicht mal alle genannt. Da ist es gar nicht so einfach, die Belehrung des Verbrauchers korrekt bereitzustellen, Fehler sind schnell passiert. Der Gesetzgeber hat daher auch den Unternehmern eine Hilfestellung gegeben: in einer weiteren Anlage zum Gesetz ist eine Muster-Widerrufsbelehrung enthalten, die quasi mit einer Ausfüllanleitung geliefert wird. Es gibt zwar keine Pflicht, dieses Muster zu verwenden. Allerdings können Abweichungen schnell dazu führen, dass die Widerrufsbelehrung nicht vollständig oder richtig ist, sodass es meist sicherer ist, auf das Muster zurückzugreifen.
Der Zeitpunkt, zu dem die Widerrufsbelehrung im Onlineshop spätestens erfolgen soll, ergibt sich aus den gleichen Vorschriften, die auch für die anderen Informationspflichten im elektronischen Geschäftsverkehr gelten. Die Verbraucher müssen unmittelbar, bevor sie ihre Bestellung abgeben, klar und verständlich auf diese Punkte hingewiesen werden. Das heißt, ein Hinweis auf die Widerrufsbelehrung muss sich – was auch über einen sprechenden Link erfolgen kann – direkt über dem Bestellbutton wiederfinden.
Übrigens: Durch den Gesetzgeber ist derzeit im Hinblick auf das Widerrufsrecht eine Erweiterung des Verbraucherschutzes in Planung. Eine Europäische Richtlinie, die noch national umgesetzt werden muss, führt einen sogenannten „Widerrufsbutton“ ein. Wahrscheinlich ab 2026 wird es eine Pflicht geben, in Onlineshops eine Schaltfläche für den Widerruf von Verträgen unterzubringen. Wie diese Pflicht im Detail ausgestaltet wird, steht noch nicht fest – wenn hierbei mehr Klarheit herrscht, informiere ich Euch natürlich im Rahmen von „Recht strukturiert“.
Fakt 3: Form + Frist
Bei der Ausübung des Widerrufs muss der Verbraucher ebenfalls ein paar Dinge beachten.
Zur Form ist das Wichtigste schnell gesagt: Der Widerruf kann formlos und ohne Angabe von Gründen erfolgen. Das heißt, der Verbraucher kann sein Widerrufsrecht per E-Mail, Fax, Brief, telefonisch oder sogar persönlich ausüben. Wichtig ist nur, dass sein Entschluss zum Widerruf eindeutig aus der Erklärung hervorgeht – allein ein Zurücksenden von Ware ohne Angabe, dass es sich um einen Widerruf handelt, reicht also nicht.
Zur Möglichkeit, das Recht auch mündlich auszuüben, sei aber gesagt, dass es sich aus beiden Perspektiven – Unternehmer und Verbraucher – immer empfiehlt, den Widerruf in irgendeiner Form zu dokumentieren. So kann im Falle eines Konflikts der Nachweis geführt werden.
Und der Onlineshop-Betreiber ist zwar verpflichtet, den Widerruf in jeder Form anzunehmen. Er kann durch gezieltes Anbieten von Eingangskanälen für den Widerruf jedoch darauf hinwirken, dass Widerrufe seiner Kunden geordnet bei ihm eingehen. Es bringt jedenfalls nichts, außer Ärger, wenn sich ein Shopbetreiber dem Entgegennehmen von Widerrufen in irgendeiner Art und Weise versperrt.
Die Möglichkeit der Ausübung des Widerrufsrechts ist zeitlich begrenzt. Im Grundsatz gilt: Die Frist beträgt 14 Tage. Der Beginn der Frist hängt von verschiedenen Faktoren ab: Zum Einen muss der Verbraucher ordnungsgemäß über sein Widerrufsrecht belehrt worden sein. Hier kommen wir zu einer Konsequenz, die droht, wenn die Belehrung nicht vollständig oder unrichtig ist: die vierzehntägige Frist beginnt nicht. Stattdessen kann ein Verbraucher den Vertrag für die weitere Dauer von 12 Monaten jederzeit widerrufen. Der Unternehmer kann die ordnungsgemäße Belehrung nicht nachholen – jedenfalls nicht so, dass die Frist früher endet. Für ihn hängen alle im Zusammenhang mit einer falschen Widerrufsbelehrung geschlossenen Verträge für diese Dauer in der Schwebe. Daher ist es, wie erwähnt, wirklich wichtig, die Widerrufsbelehrung ordnungsgemäß auszugestalten.
Der weitere Faktor, von dem abhängt, wann die gesetzliche Widerrufsfrist von 14 Tagen beginnt, ist der Zeitpunkt der Leistung. Bestellt der Verbraucher beispielsweise eine Ware, die mit einer Sendung geliefert wird, beginnt die Widerrufsfrist mit dem Erhalt dieser Ware. Bestellt er dagegen mehrere Teile und werden sie getrennt geliefert, beginnt die Frist erst mit Erhalt des letzten Teils. So ergeben sich für verschiedene Szenarien verschiedene Fristen, die alle einerseits in der Widerrufsbelehrung, aber andererseits auch in den internen Prozessen des Onlineshops abgebildet sein müssen, sodass erkannt wird, ob ein Widerruf rechtzeitig erfolgt oder nicht.
Ihr ahnt es sicher: das kann kompliziert werden. Deshalb – und auch aus Gründen der Kulanz – sind viele Onlineshops in der Praxis dazu übergegangen, freiwillig einheitliche, längere Fristen für die Rücksendung von Ware einzuräumen. Von 30 bis 100 Tagen liest man hier alles. In diesem Zusammenhang ist sehr wichtig zu betonen: Das freiwillige Anbieten von längeren Retoure-Möglichkeiten solltet Ihr vom Widerruf sowohl im Hinblick auf die Bezeichnung, als auch auf die Erläuterung, z.B. in AGB, strikt trennen! So ein Rückgaberecht ersetzt nicht das gesetzliche Widerrufsrecht und befreit nicht von der Pflicht der korrekten Belehrung inklusive Angabe der Frist.
Fakt 4: Folgen des Widerrufs
Ganz kurz möchte ich auf die Folgen eines rechtzeitigen Widerrufs eingehen: Im Grunde wird der Vertrag so rückabgewickelt, als habe es ihn nie gegeben. Sprich: der Unternehmer erhält die Ware zurück, der Verbraucher das Geld.
Das klingt zunächst einfach, aber auch hierbei ist einiges zu beachten. Zum Beispiel trägt der Unternehmer das Risiko, dass die Ware auf dem Weg zurück beschädigt wird oder verloren geht. Die Kosten der Rücksendung kann er aber dem Käufer überlassen, wenn er hierauf in der Widerrufsbelehrung richtig hingewiesen hat. Auch hier ist es wichtig, die Gestaltungsmöglichkeiten, die man als Unternehmer hat, abzuwägen und die internen Prozesse richtig dahingehend auszugestalten. Nur so können Fehler und infolgedessen Aufwände oder Verluste im Zusammenhang mit dem Widerruf vermieden werden.
Das sagen die Gerichte
Das heutige Beispiel eignet sich gut, um einerseits auf die Relevanz einer vollständigen und korrekten Widerrufsbelehrung hinzuweisen. Andererseits zeigt das Urteil, wo die Grenzen des Widerrufsrechts liegen und welcher Zweck dem Ganzen zugrunde liegt.
Wir schauen uns ein Urteil des Europäischen Gerichtshofs vom 05. Oktober 2023 (C-565/22, Sofatutor) an. Das Verfahren in der Sache wurde in Österreich geführt und schließlich dem EuGH zur Entscheidung vorgelegt. Das Widerrufsrecht in seiner heutigen Form beruht, wie eingangs kurz erwähnt, auf einer EU-Richtlinie, die Rechtsprechung des EuGH gilt EU-weit.
Inhaltlich befasste sich das Gerichtsverfahren mit der Plattform Sofatutor, welche Abonnements zur Lernhilfe anbietet. Auf dieser Plattform kann ein Verbraucher zunächst einen 30-tägigen, kostenlosen Testzeitraum nutzen. Kündigt er diesen nicht, so wandelt sich der Testzeitraum nach den 30 Tagen automatisch in ein entgeltliches Abonnement, welches sich ohne Kündigung weiterhin regelmäßig automatisch verlängert. Über diese Vertragsgestaltung und alle Preise, ebenso wie über das Widerrufsrecht informiert Sofatutor seine Kunden ordnungsgemäß bei Vertragsabschluss.
Eine Verbraucherschutzorganisation ging gegen dieses Verhalten vor. Sie argumentierte, dem Verbraucher stehe bei Übergang der kostenlosen Testphase in ein entgeltliches Abonnement erneut ein Widerrufsrecht zu, welches ihm durch Sofatutor nicht gewährt würde (und dass das Unternehmen hierüber nicht belehrte). Als Begründung wurde angebracht, dass sich der Vertrag zu diesem Zeitpunkt ja wesentlich verändere und dies daher wie ein neuer Vertragsschluss mit der Folge eines (erneuten) Widerrufsrechts zu behandeln sei.
Nachdem das Verfahren in Österreich bis zum Obersten Gerichtshof durch die Instanzen gewandert war, legte dieser dem EuGH die Frage nach dem erneuten Widerrufsrecht vor. Und der EuGH entschied zugunsten Sofatutor: Er stellte klar, dass kein neues Widerrufsrecht entsteht, wenn ein Vertrag sich nach einem Testzeitraum in ein kostenpflichtiges Abonnement verändert. Dies gilt allerdings nur, wenn erstens die Vertragsbedingungen zu Beginn des Testzeitraums klar kommuniziert wurden, inklusive der korrekten Widerrufsbelehrung, und zweitens sich die Vertragsbedingungen auch tatsächlich nicht mehr durch Übergang in das kostenpflichtige Abonnement verändern.
Das Widerrufsrecht dient nach Argumentation des EuGH dazu, dass der Verbraucher zusätzliche Bedenkzeit hat. Kennt er die Rahmenbedingungen bereits bei Abschluss des Testzeitraums, gibt es nach Auffassung des höchsten europäischen Gerichts keinen Grund, diese Bedenkzeit zulasten des Unternehmers nach – angekündigtem – Übergang in ein entgeltliches Abo erneut einzuräumen.
Zum guten Schluss
Wir merken uns: Das Widerrufsrecht und damit auch der Verbraucherschutz ist nicht grenzenlos. Und: Transparenz über die Vertragsbedingungen und die richtige Belehrung über das Widerrufsrecht bei Vertragsschluss sind super wichtig.