Recht strukturiert Basics: Der Vertrag

Schon der zehnte Beitrag „Recht strukturiert“! Ein kleines Jubiläum, das mit der Einführung einer neuen Kategorie gefeiert wird: Recht strukturiert Basics. Das sind Beiträge, die zwar im üblichen Format erscheinen, inhaltlich aber kein typisches Digitalisierungs-Thema behandeln. Stattdessen geht es um das juristische Einmaleins, ganz grundsätzliche Fragen und Wissen, das in vielen Situationen weiterhilft. Das erste Thema der Basics: der Vertrag.

Die Basics als neues Format

Aus Eurem Feedback nach den letzten Beiträgen habe ich entnommen, dass Ihr Euch neben den klassischen Digitalisierungs-Themen hier und da Inhalte zu ganz grundsätzlichen juristischen Themen wünscht. Das hilft einerseits ganz allgemein im Alltag, aber – und das ist für Recht strukturiert nicht unwichtig – auch dabei, die teilweise sehr komplexen Themen, die in aller Kürze vermittelt werden, vielleicht noch etwas besser verstehen zu können. 

Deshalb gibt es zum Start Basics zum Vertrag. Natürlich gilt – wie immer – der Disclaimer: Recht strukturiert kann nur einen Einblick in das Thema geben. Trotzdem versuche ich, möglichst die wichtigsten Punkte unterzubringen, ohne das Format komplett zu crashen.

Vertragsfreiheit

Gleichzeitig ist es gar nicht so einfach, das Wichtigste zu Verträgen zusammen zu tragen.

Beginnen wir damit: in unserem Rechtssystem in Deutschland gibt es eine so genannte Vertragsfreiheit. Das bedeutet: Natürliche oder juristische Personen dürfen Verträge schließen mit wem sie wollen und mit welchen Inhalten sie wollen – solange sich die Vertragsparteien einig sind, darf in einem Vertrag zwischen ihnen quasi alles geregelt werden.

Allerdings gibt es für Vertragsfreiheit als Grundprinzip natürlich Ausnahmen, bzw. Einschränkungen. Die Freiheit, Verträge mit egal wem zu schließen, endet beispielsweise dort, wo das Gegenüber nicht geschäftsfähig ist oder, wo Diskriminierungen unterbunden werden sollen. So regelt das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz, das AGG, zum Beispiel, dass Arbeitgeber beim Vertragsschluss eines Anstellungsvertrags eben doch bestimmten Vorgaben unterliegen, was die Wahl ihres Vertragspartners angeht.

Und auch hinsichtlich des Vertragsinhalts ist die Freiheit nicht ganz unbeschränkt: Die Pflichten, die Unternehmer beim Vertragsschluss mit Verbrauchern in bestimmten Fällen beachten müssen, wurden bereits in einigen vergangenen Beiträgen von Recht strukturiert erläutert. Und das ist bei weitem nicht die einzige inhaltliche Einschränkung, die das BGB regelt.

Trotzdem: es bleibt bei dem Grundprinzip der Freiheit, über alles und mit jedem einen Vertrag zu schließen und betrachtet man die Fülle der Möglichkeiten, sind die auf den ersten Blick zahlreichen Einschränkungen tatsächlich gar nicht so zahlreich.

Vertragsfreiheit gut und schön, aber was ist denn nun eigentlich ein Vertrag? Schauen wir uns die Legal Facts an.

Legal Facts

Fakt 1: Angebot + Annahme

Ein Vertrag ist ein sogenanntes Rechtsgeschäft, eine Einigung von zwei oder mehr Parteien, bei dem ein rechtlicher Erfolg erzielt werden soll. In unserem Alltag begegnet uns der Vertrag häufig in der Form, dass dieser rechtliche Erfolg in dem Austausch von Leistungen zwischen den Parteien, zum Beispiel Ware gegen Bezahlung, besteht. Man spricht dann davon, dass durch die Einigung ein vertragliches Schuldverhältnis zustande kommt. Doch wie schließt man einen Vertrag, wann kommt eine Einigung überhaupt zustande?

Jetzt könnte man meinen, es ist doch völlig klar, wie man sich einigt, alle Beteiligten sagen „ja“ und fertig. Doch ganz so einfach ist das nicht, denn manchmal gibt es ja gar kein klares „Ja“ oder keine Unterschrift auf einem Dokument – beispielsweise bei einer Auktion oder beim Klick auf einen Button. Das Bürgerliche Gesetzbuch hat die Rahmenbedingungen für Verträge daher geregelt. Ein Vertrag entsteht durch Antrag, oft Angebot genannt, und Annahme. Dieses Paar ist untrennbar, entfällt eines der beiden, kommt ein Vertrag nicht zustande.

Angebot und Annahme sind sogenannte Willenserklärungen, die bewusst durch die Parteien erfolgen müssen – also mit dem Willen, einen Antrag oder eine Annahme zu äußern. 

Nicht nur im privaten Umfeld ist es wichtig, sich in verschiedenen Situationen darüber bewusst zu sein, ob und wann ein Angebot und oder eine Annahme und damit ein Vertragsabschluss erfolgt. Insbesondere bei der Vermarktung von Produkten kann das relevant sein.

Ein Beispiel: Ihr verkauft eine limitierte Anzahl an Pullovern über Euren Onlineshop. Ihr habt 500 Pullover und ab dem Moment, in dem Ihr sie anbietet, werden sie Euch förmlich aus den Händen gerissen. Die Bestellungen trudeln ein und es zeigt sich: 600 Pullover werden bestellt. Selbst, wenn Ihr ein gutes Warenwirtschaftssystem an den Shop anbindet, kann es in Einzelfällen mal zu Überschneidungen kommen. Wann ist jetzt der Vertrag zustande gekommen, wer hat ein Angebot gemacht, wer hat die Annahme erklärt?

Wenn bereits Euer Produktportfolio auf der Webseite ein Antrag im vertragsrechtlichen Sinn darstellt und die Bestellung des Kunden die Annahme ist, dann habt Ihr jetzt ein Problem, nämlich 100 Kunden, mit denen Ihr einen Vertrag geschlossen habt, den Ihr nicht bedienen könnt. Wenn Ihr Euren Onlineshop aber so ausgestaltet – und bei der Frage, wie genau das geht, lasst Euch gern rechtlich beraten -, dass nicht Ihr den Antrag erklärt, sondern erst der Kunde mit seiner Auswahl und der Bestellung ein Angebot abgibt, seid Ihr in der Lage, die Bestellungen zunächst zu prüfen und über die Annahme nur 500 Kunden gegenüber zu entscheiden.

Merkt Euch daher: Vertrag, das bedeutet Antrag und Annahme und hier bestehen Gestaltungsmöglichkeiten.

Fakt 2: Formfreiheit

Hier möchte ich mit einem sehr geläufigen Irrglauben aufräumen, denn: Verträge müssen nicht schriftlich sein. Grundsätzlich sind Verträge formlos wirksam, das bedeutet, man kann einen Vertrag per Telefon, per E-Mail und auch mündlich – mit oder ohne Handschlag – schließen.

Er ist wirksam, ohne, dass er nachträglich irgendwie verkörpert wird. Nur bestimmte Vertragsarten unterliegen einer Form, beispielsweise der Schriftform oder einer notariellen Beurkundung, wenn das Gesetz dies vorschreibt. Das sind in der Regel Verträge, bei denen es ein bestimmtes Schutzbedürfnis gibt, sodass als zusätzliche Hürde die besondere Form vorgesehen ist. Aber das sind nicht die Verträge, die man aus dem Alltag kennt – selbst ein Mietvertrag oder auch ein Arbeitsvertrag kann beispielsweise mündlich geschlossen werden und unterliegt keiner Form.

Was bedeutet das in der Praxis: Verträge und auch Vertragsänderungen, für die die Parteien kein Formerfordernis miteinander vereinbart haben, können am Telefon oder auch per E-Mail wirksam vereinbart werden. Im Geschäftsalltag und insbesondere, wenn ein Unternehmen Mitarbeitende hat, die mit Geschäftspartnern kommunizieren, kann das unter Umständen relevant werden.

Fakt 3: Verschiedene Arten von Verträgen

Vertrag ist nicht gleich Vertrag. Es gibt verschiedene Vertragstypen, je nachdem, welches Rechtsgeschäft, bzw. welchen rechtlichen Erfolg sie zum Gegenstand haben. Je nach Typ gelten auch verschiedene gesetzliche Regeln, denn das BGB trifft in den unterschiedlichsten Abschnitten jeweils bezogen auf die Besonderheiten der Vertragstypen entsprechende Vorgaben, zum Beispiel, wie oben erläutert, im Hinblick auf die einzuhaltende Form.

Es gibt zum Beispiel den Kaufvertrag, Werk- oder Dienstverträge. In den letzten Beiträgen habe ich vieles zu Fernabsatzverträgen erklärt, bei denen es weniger darum geht, was der Vertragsgegenstand ist, als mehr darum, auf welchem Weg sie zustande kommen und zwischen wem – Verbraucher und Unternehmer.

Es gibt viele Varianten, die Einfluss auf die rechtlichen Rahmenbedingungen für einen Vertrag haben. Und natürlich gibt es Verträge, die, beispielsweise weil sie mehrere Dinge regeln, die Mischformen der im BGB festgelegten Kategorien darstellen und bei denen dann geschaut werden muss, welche Regeln anzuwenden sind. Ein Beispiel ist ein Mobilfunkvertrag, bei dem gleichzeitig ein Handy erworben und mit den monatlichen Gebühren abbezahlt wird oder ein Softwarevertrag, bei dem die Nutzung, aber auch die Pflege einer Software vereinbart wird.

Wichtig ist, grundsätzlich zu wissen, dass es Unterschiede gibt und dass dementsprechend verschiedene Voraussetzungen gelten können.

Fakt 4: Pacta sunt servanda

Pacta Sunt servanda. Das heißt wörtlich: Verträge sind zu bedienen. Übersetzt wird es häufig auch mit „Verträge sind einzuhalten“. Der Sinn hinter dieser Aussage, die übrigens schon seit dem römischen Reich gilt, ist, dass ein Vertrag erst einmal verbindlich ist. Wer einen Vertrag schließt, sollte sich vorher überlegen, ob er das auch möchte. Denn nach einem wirksamen Abschluss sind beide Seiten an ihre Vereinbarung gebunden. Eine Vertragspartei kann nicht willkürlich sagen, „och, „So habe ich mir das nicht vorgestellt, mach ich jetzt doch nicht.“

Nur die im Gesetz festgelegten Möglichkeiten erlauben es, einen Vertrag zu beenden – neben der Option, dass ein Vertrag durch Zielerreichung automatisch endet. Beispiele sind der Widerruf oder die ordentliche oder außerordentliche Kündigung für Verträge, die für eine bestimmte oder unbestimmte Dauer angelegt sind. Unter bestimmten Voraussetzungen können Verträge auch angefochten werden oder eine Partei kann von einem Vertrag zurücktreten.

Es bleibt aber bei dem Grundsatz: Pacta sunt servanda – Verträge sind einzuhalten.

Das sagen die Gerichte

Natürlich gibt es nicht das eine Gerichtsurteil, das eine besonders große Bedeutung für Vertragsrecht hat. Deshalb folgen in diesem Abschnitt ein paar interessante und aktuelle Beispiele, die Euch einen Eindruck vermitteln sollen, was beim Vertragsschluss schief gehen, bzw. strittig sein kann.

LG München I (Urteil v. 24.10.2023, Az. 27 O 3674/23)

Wir beginnen mit einem Urteil des Landgerichts München aus Oktober 2023. Und das ist direkt interessant für die Freizeitgestaltung und wann man mit Freunden möglicherweise einen Vertrag schließt – oder eben nicht. In der Sache ging es um zwei Bekannte, die in den Bergen wandern gingen, einer sehr alpin erfahren, seine Begleitung nicht.

Ersterer suchte die Route aus und navigierte. Als sie an eine Stelle kamen, die die unerfahrene Freundin nicht bewältigen konnte, musste schließlich ein Rettungshubschrauber gerufen werden. Das Ergebnis: 8.500 Euro Kosten, die zunächst die unerfahrene Bergwanderin übernahm. Sie verlangte die Kosten später gerichtlich von dem Freund zurück.

Sie argumentierte, durch seine Auswahl und Navigation der Strecke habe er eine Willenserklärung für einen Gefälligkeitsvertrag abgegeben und seine Pflichten aus diesem verletzt, was einen Schadensersatzanspruch begründe. Das sah das Gericht anders – bei einer rein privaten Freizeitveranstaltung fehle es – jedenfalls ohne weitere Indizien – bereits am Vertragsbindungswillen und somit auch an einem Vertrag.

LG Köln (Urteil v. 25.08.2023, Az. 37 O 220/22)

Ebenfalls keinen Vertragsbindungswillen wollte eine Verkäuferin eines Sofas auf Ebay gehabt haben – und aus diesem Grund den aus ihrer Sicht zu günstigen Sofortkauf der Couch als unwirksam abtun. Der Käufer, der das Möbelstück für 700,- statt für den objektiven Wert in Höhe von 7000,- Euro über die Plattform erworben hatte, akzeptierte das nicht und zog vors Landgericht Köln, nachdem das Sofa nicht geliefert wurde.

Die Verkäuferin hatte zunächst verschiedene unglaubwürdige Gründe vorgeschoben, erst Monate nach dem Kauf erklärte sie, sie habe sich bei der Eingabe des Preises vertippt. Vertippen ist grundsätzlich ein Irrtum, der zur Anfechtung der eigenen Erklärung berechtigt – mit der Folge, dass der Vertrag nicht wirksam zustande kommt. Problem: Die Anfechtung muss unverzüglich nach Kenntnis des Grundes erfolgen. Die Anfechtung erst Monate später war in diesem Fall zu spät. Das Gericht verurteilte die Verkäuferin zur Zahlung eines Schadensersatzes an den Käufer in Höhe des objektiven Werts der Couch, abzüglich des durch ihn gezahlten Kaufpreises.

Übrigens: Ebay ist Ausgangspunkt vieler Bilderbuch-Gerichtsverfahren, die regelmäßig für juristische Prüfungen herangezogen werden. Denn Gegenstand dieser Streitigkeiten sind ganz oft Irrtümer und Anfechtungen der Willenserklärungen, beispielsweise weil sich der objektive Wert einer günstig versteigerten Sache erst später herausstellt oder wegen Zahlendreher beim Mindestgebot.

AG München (Urteil v. 18.04.2024, Az. 275 C 20050/23)

Um eine Anfechtung und die Frage, ob ein Irrtum gegeben ist, ging es auch bei dem ganz frischen Urteil des Amtsgerichts München.

Hier hatte ein Herr seine Reise storniert, statt umgebucht – und das in fünf Schritten, die er immer wieder durch Klick hatte bestätigen müssen. Der Fall an sich dreht sich also nicht um einen Vertragsschluss. Da er aber die Frage behandelt, wann die Erklärung einer bestimmten Absicht, also eine Willenserklärung, rechtliche Wirkung entfaltet und wann sie angefochten werden kann, ist sie durchaus auch für Fragen des Vertragsschlusses und wann ein Angebot oder eine Annahme angefochten werden kann, relevant.

Das Amtsgericht München war in diesem Fall auf Seiten des Reiseanbieters: Wer fünfmal eine bestimmte Handlung durch Klick bestätige, der könne sich nicht darauf berufen, dass er einem Irrtum unterliege und sich vertan habe – eine Anfechtung der Erklärung sei nicht möglich.

Zum guten Schluss

Die Urteile zeigen: bis heute gibt es selbst bei den ganz grundsätzlichen Rechtsfragen immer wieder Streitigkeiten. Es ist eben nicht immer eindeutig, ob ein Vertrag geschlossen wurde. Als geschäftsfähige Person sollte man sich der Tatsache immer bewusst sein, die man durch bestimmte Handlungen erklärt. 

Umgekehrt könnt Ihr Euch dieses Wissen aber eben bei der Gestaltung der Verträge mit Euren Kunden zunutze machen. So könnt Ihr beispielsweise vorab entscheiden, ob Ihr mit Eurem Auftreten bereits den Antrag machen wollt oder doch lieber als zweites über die Annahme eines Angebots entscheiden möchtet.